Erklärung von Annalena Baerbock und Robert Habeck:
“Heute vor 30 Jahren wurden wir in Deutschland Zeuginnen und Zeugen davon, dass friedlicher Protest die Kraft hat, Mauern einzureißen. Der Einsturz der Berliner Mauer war das letzte Zünglein an der Waage, das den DDR-Unrechtsstaat zu Fall brachte. Der Weg in die Freiheit wurde geebnet durch all diejenigen, die sich über Monate in den Bürgerbewegungen der DDR für eine freie, demokratische Gesellschaft engagierten. Es gilt, an ihren beispielslosen Mut, ihre Beständigkeit und unerschütterliche Hoffnung zu erinnern. Ihnen gilt unser besonderer Dank. Gleichzeitig darf nicht vergessen werden, dass dem Mauerfall auch tiefgreifende Umwälzungen, Unsicherheiten und Enttäuschungen folgten. Es ist unser aller Aufgabe, noch mehr als bisher daran zu arbeiten, dass Deutschland weiter zusammenwächst und wir soziale Gräben schließen.
Dafür gilt es auch, Ungleichheiten abzubauen, die strukturschwachen Regionen überall in Deutschland zu stärken, neue Wertschöpfung zu schaffen und die öffentliche Infrastruktur zu verbessern. Und wir haben die Aufgabe, eine breitere Repräsentanz sowie Sicht- und Hörbarkeit der Vielfalt unseres Landes zu organisieren.
In einer Zeit, in der Hass und Hetze geschürt und immer stärker in die Gesellschaft hineingetragen werden, müssen wir, mehr denn je, auch über den 9. November 1938 sprechen. Darüber, wie in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 Menschen aus weiten Teilen der Gesellschaft entweder tatenlos zusahen oder selbst durch die Straßen zogen, um die Wohnungen, Geschäfte, Gemeinden und Gebetshäuser ihrer jüdischen Mitmenschen zu überfallen, auszuplündern und in Brand zu setzen. Die Novemberpogrome vor 81 Jahren waren eine entscheidende Zäsur auf dem Weg, der zum Zivilisationsbruch, der Shoa, dem industrialisierten Massenmord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden, führte. Wir müssen im Jahr 2019 den Mut haben und uns ehrlich mit den Kontinuitäten von Antisemitismus und Rassismus mitten in unserer Gesellschaft auseinandersetzen. Wir sollten uns klar machen, dass Worte, Sprache und eine Politik der Ausgrenzung Taten vorbereiten. So geschehen beim Anschlag auf die Synagoge in Halle und den zwei Morden, so geschehen bei den Morden des NSU, so geschehen bei dem Mord an Walter Lübcke, so geschehen bei den unzähligen Brandanschlägen auf jüdische Einrichtungen und Flüchtlingsunterkünfte und bei vielen Gewaltakten mehr. Was jetzt zählt, ist, dass wir alle gemeinsam und entschlossen Faschisten und Hetzern entgegentreten, sie und ihre Vorhaben klar benennen und ihnen keinen Fußbreit überlassen. Es darf keinen Schlussstrich geben.“